Ich sehe wunderbare Dinge

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von Ursula Kampmann

29. November 2018 – Es gibt nur wenige archäologische Großereignisse, die sich ähnlich im kollektiven Gedächtnis eines gebildeten Angehörigen der westlichen Welt eingeprägt haben, wie die Entdeckung des Grabs des Pharaos Tut-Anch-Amun. Der Grund dafür sind nicht nur die beeindruckende Fülle von Funden, sondern auch die Tatsache, dass diese Ausgrabung die erste war, die medial bestens vermarktet wurde. Der Financier der Grabung, der Earl of Carnarvon hatte mit der Times einen Exklusivvertrag abgeschlossen, der dieser damals wohl wichtigsten britischen Zeitung alle Rechte zur Veröffentlichung von Funden vorbehielt. Alle anderen Medien, die ihre Leser über die Vorgänge am Laufenden halten wollten, mussten die offiziellen Pressebilder von der Times kaufen.

Christina Riggs (with Rupert Wace), Tutankhamun. The Original Photographs. Rupert Wace Ancient Art, London 2018. 112 S. Abbildungen in Schwarz-Weiß. Paperback. 29,6 x 24,4 cm. ISBN: 978-0-9575064-4-2. 25 GBP zzgl. Versandkosten.

So ärgerlich dieses Vorgehen für die internationale und vor allem für die heimische ägyptische Presse sein mochte, verdanken wir ihm einen spektakulären Fund von 148 Fotografien, die Harry Burton, Fotograph des Metropolitan Museum of Art, im Auftrag der Times angefertigt hatte. Das Ensemble der Bilder wurde wieder aufgefunden und wird nun von dem auf ägyptische Antiken spezialisierten Kunsthändler Rupert Wace publiziert. Er hat sich die Unterstützung von Christina Riggs gesichert, die dem Betrachter kenntnisreich den politischen und historischen Hintergrund vermittelt, auf dem all diese Bilder eingeordnet werden müssen.

Denn Ägypten erlebte damals eine spannende Zeit. Am 22. Februar 1922 war Ägypten offiziell unabhängig geworden. In der Realität übten die Briten weiterhin einen nicht vernachlässigbaren Einfluss aus. Schließlich führte der Suezkanal, der das Mittelmeer mit Indien verband, durch ägyptisches Territorium. Der amerikanische Fotograph, der für ein westliches Publikum fotografierte, brachte seine ganz eigene Weltsicht in die Gestaltung der Fotos ein…

Der aufwändig gestaltete Bildband ist also nicht nur etwas für Augenmenschen, die sich für „king Tut“ interessieren, er ist viel mehr. Er ist ein hochrangiges Zeugnis für die Geschichte der Archäologie und ihrer Ausbeutung für politische Zwecke. Er ist aber auch ein Zeugnis für die Unschuld, mit der Briten als Stellvertreter der westlichen Welt ihre Überlegenheit für selbstverständlich hielten. Wenn die Kommentatorin dem Buch ein Foto voranstellt, das einen ägyptischen Grabungshelfer in traditioneller Kleidung zeigt, wie er das von den Briten installierte Telefon benutzt, dann schwingt darin viel von dieser westlichen Überheblichkeit mit. Sie war 1922 selbstverständlich, galt nicht etwa als etwas Besonderes oder gar Verwerfliches, sondern war nicht hinterfragte Communis Opinio.

Natürlich ist das Buch neben allen historischen Aspekten gleichzeitig ein ästhetisches Vergnügen. Die Fotografien spiegeln das Können des Fotographen, der genau wusste, wie man ein gutes Bild aufbaut. Sie boten dem Leser der Times einen Einblick in den Grabungsalltag, zeigen spannende Momente im Verlauf der Ausgrabung genauso wie die illustren Besucher des Tals der Könige. Sie setzen die schönsten Objekte in Szene und liefern sorgfältig arrangierte Einblicke in die Grabkammer. Wer sich ein Bild davon machen will, wie 1922 eine Ausgrabung durchgeführt wurde, sollte sich diesen wunderschönen Bildband unbedingt kaufen.

„Tutankhamun: The Original Photographs“ ist eine Bereicherung jeder Bibliothek und seine Lektüre vermittelt niederschwellig eine Fülle an Informationen. Der Bildband singt das Hohe Lied der Liebe zur Ägyptologie und mahnt gleichzeitig zum Respekt gegenüber den Nachfahren der einstigen Pharaonen. Er gibt einen Einblick in die junge Nation Ägypten und in die Ausgrabungstechniken des beginnenden 20. Jahrhunderts. Er fasziniert und begeistert. Er ist eine angemessene Würdigung der wohl berühmtesten Ausgrabung der gesamten Archäologiegeschichte.

Sie können den Katalog über diese Website bestellen.

Christina Riggs kuratierte in Cambridge eine Ausstellung, über die die BBC ausführlich berichtete.

Das Tutanchamun immer noch eher ein Medienereignis ist als ein Thema der Wissenschaft ist, zeigt der offizielle Trailer zur Ausstellung.