Numismatisches Tagebuch einer Reise quer durch Griechenland – Teil 5

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von Ursula Kampmann

21. Juli 2011 – Die fünfte Episode führt uns in eine der schönsten, wenn nicht die schönste Grabung Nordgriechenlands, nach Dion, wo Alexander einst dem Zeus ein Opfer darbrachte, ehe er die Eroberung der Welt begann…

11. Tag, 20. Juni 2011, Zeltplatzidylle in Platamon
Wissen Sie, wie man in Nordgriechenland am besten als Tourist wohnt? Man suche sich einen Zeltplatz. Dort gibt es nicht nur Zelte und Wohnwägen, sondern vor allem kleine Appartementhäuschen, in denen man für wenig Geld mit höchstmöglichem Komfort wohnt. Derzeit beträgt der Preis zwischen 30 und 35 Euro für zwei Personen.
Ja, man muß sich selbst versorgen, aber das ist – wenn man das normale Hotelfrühstück in Betracht zieht – eher eine Erleichterung als ein Problem. Die Räume sind angenehm groß, verfügen über eine Klimaanlage, eine kleine Küche mit großem Kühlschrank und eine wunderschöne Terrasse.
Wir hatten uns bei Parga so einen Bungalow gesucht und nun auch in Platamon, einem Ort, der bis vor kurzem hauptsächlich von Griechen und ein paar wenigen bildungshungrigen Zentraleuropäern besucht wurde. Während die Griechen mit ihren großen Familien vor allem den flachen Sandstrand schätzen, nutzten viele Philhellenen den Ort als idealen Ausgangspunkt für Exkursionen nach Makedonien und Thessalien. Doch letztere sind praktisch nicht mehr zu finden. Vielleicht haben die schrecklichen Bilder aus Athen viele Freunde des klassischen Griechenlands abgeschreckt.
Die Lücke haben nun Bulgaren und vor allem Serben gefüllt, die eine nur kurze Anreise haben, um hier einen vergleichsweise erschwinglichen Urlaub zu verleben. Natürlich gibt es kulturbedingte Unterschiede. Das Verhältnis zur Lautstärke ist zum Beispiel ein anderes. Dazu kommt der Umgang mit Kindern, insbesondere wenn sie männlichen Geschlechts sind. Während man nach der antiautoritären Phase in Deutschland allmählich wieder lernt, daß Kinder Grenzen brauchen, tollen hier die Youngsters bis nach Mitternacht herum, brüllen und werfen Steine (sic! eine erste Begrüßung im neuen Quartier bestand darin, daß ein etwa taubeneigroßer Kiesel an meinem Kopf vorbei in unser Zimmer flog).
Im nebenan gelegenen Appartement wohnt eine Familie ohne männliche Begleitung. Nein, das stimmt so nicht, das Haupt der Familie bildet ein ca. einjähriges (männliches) Baby, das eine aufgeregte Großmutter händeringend umsorgt. Der kleine Prinz hat entdeckt, daß sich die Stangen der Brüstung am Balkon unter großem Quietschen drehen lassen, ein Gänsehaut erregendes Geräusch, das ähnlich klingt wie das Kratzen mit Nägeln über eine Tafel. Keine Chance, daß die Großmutter dafür sorgen würde, daß er damit aufhört. Als wir energisch darum baten, zuckte sie mit den Schultern und versuchte mit eindringlichen Worten das Kleinkind zu überzeugen, das doch bitte bitte sein zu lassen.
Ach ja, aber die zahllosen Nachtigallen, die sogar den Tag über singen, lassen einen manch skurile Eigenheit anderer Nationen vergessen. Wobei die Nachtigallen hart zu kämpfen haben, wenn der kleine Gesangskreis anhebt, griechische Volkslieder zu singen. Seine Mitglieder finden sich mit Vorliebe in der Zeit der Mittagsruhe zusammen (da ist es aber auch wirklich zu heiß, um am Strand zu liegen!).
Fürwahr, es ist ein köstlicher Ort hier, um vergleichende ethnologische Studien zu treiben!
Wenn Sie nicht die Geduld für die Ethnologie aufbringen, dann empfehlen wir, griechische Zeltplätze zur Hauptreisezeit eher zu meiden oder auf ein Viersternehotel zurückzugreifen;-)
Übrigens möchte ich nicht versäumen zu erwähnen, wie sorgfältig unser Zeltplatz geführt wird. Häufig habe ich mich mit dem Besitzer über Gott und die Welt (sprich von griechischer Vergangenheit und Archäologie bis hin zur aktuellen wirtschaftlichen Lage) unterhalten. Es war immer spannend, und man spürte viel von der gerühmten griechischen Gastfreundschaft!

12. Tag, 21. Juni 2011, wo Alexander opferte
Wer nur die griechischen Inseln kennt, kann sich nicht vorstellen, welche unwegsamen Gebirge es im Norden Griechenlands gibt. Und trotzdem hat jeder Tourist schon einmal vom berühmtesten Gebirgsmassiv des Landes gehört, vom Olymp, wo einst die Götter hausten.
Direkt am Fuß des Berges, nur wenige Kilometer vom Meeresufer entfernt, liegt eine Stadt, die nach dem Obersten der Götter benannt ist, Dion.

Touristen willkommen. Foto: KW.

Die Stadt Dion bietet eine erfreuliche Abwechslung zur Mißachtung und Vernachlässigung, die manchen antiken Stätten von lokaler Seite zu Teil wird. Hier will man Touristen. Und das zeigt sich an vielen Kleinigkeiten, so an den überlegten Hinweistafeln und den Parkplätzen, die es einem Touristen zum Vergnügen machen, die Ausgrabung und das Museum zu besuchen.

Gepflasterte Hauptstraße von Dion. Foto: KW.

Der archäologische Park von Dion hat den ganzen Tag offen und besitzt eine hervorragende Infrastruktur mit ausgezeichneter Führungslinie. Der erste, der über die Ruinen von Dion berichtete, war Leake, dessen Münzsammlung heute im Fitzwilliam Museum / Cambridge zu finden ist. Seit 1963 gräbt die Universität von Thessaloniki in Dion, so daß hier Hunderte von Studenten die Möglichkeit erhielten, die praktische Seite des Ausgrabens kennenzulernen.

Dium (Makedonien). Salonina. Rv. Athena im langen Gewand zwischen zwei Schlangen n. l. Aus Auktion Münzen und Medaillen GmbH 13 (2003), 83.

Dion dürfte eine Gründung der einheimischen Bevölkerung sein. Um 700 v. Chr. eroberten es die Makedonen. Es handelte sich um die erste große Stadt der Makedonen jenseits der Grenze des Tempe-Tals. Dies ist wichtig, weil Dion so ganz automatisch der Ort wurde, wo sich die makedonischen Könige bevorzugt als Teil der hellenischen Welt inszenierten.
Deshalb war Dion das wichtigste religiöse Zentrum Makedoniens. Bereits Archelaos (413-399) gründete hier unter Teilnahme von bedeutenden Festgesandtschaften aus ganz Griechenland olympische Festspiele. Hier feierte Philipp 348 seinen Triumph über Olynth; hier opferte Alexander, ehe er loszog, um das persische Reich zu erobern. Viele Schriftsteller haben das Denkmal beschrieben, das Alexander in Dion nach der Schlacht am Granikos von Lysippos errichten ließ: Es bestand aus 25 Reiterstatuen der in der Schlacht gefallenen Gefährten.
Die Römer gründeten nach dem Sieg über das makedonische Königreich in Dion eine Kolonie mit dem Namen Iulia Augusta Diensis, von der eine reiche Münzprägung erhalten ist. Seit 346 war die Stadt Bischofssitz, doch dann kam der Niedergang. Die letzte kursorische Erwähnung Dions finden wir im 10. Jahrhundert.

Luftbild der Agora auf einer Erklärungstafel. Foto: KW.

Wenn man der Hauptstraße in Richtung Norden folgt, entdeckt man die Agora mit ihrem quadratischen Grundriß von 60 x 60 Meter. Ihre architektonische Struktur erschließt sich erst in der Luftaufnahme, wie sie von allen Gebäuden auf den Erläuterungstafeln abgebildet sind.

Offizielle Hohlmaße der Stadt Dion. Foto: KW.

Auf der Agora stand früher ein Marmorblock, in den die offiziellen Hohlmaße der Stadt eingelassen waren, um bei Streitfällen sofort eine Entscheidung treffen zu können. Dieser Stein wurde später benutzt, um das Straßenpflaster auszubessern. Nun hat man ihn wieder zurück zur Agora gebracht.

Entlang der Hauptstraße. Foto: KW.

In nächster Nähe befindet sich an der Hauptstraße ein Siegesmonument aus dem 4. Jahrhundert v. Chr., das Schilde und Panzer zeigt.

Blick auf das Wohnquartier. Foto: KW.

Immer wieder bieten sich malerische Ausblicke. Aber die Archäologie tritt geradezu in den Hintergrund, wenn es um die spannenden Details aus Dions Flora und Fauna geht.
Dion ist nämlich so wasserreich, daß die Ausgrabung zu einer Herausforderung wurde. Immer wieder überschwemmten die Fluten des Vaphyras die freigelegten Gebäude. Auch der heutige Besucher muß sich seinen Weg gelegentlich durch Matsch oder seichtes Wasser suchen. Dafür entdeckt er eine Fülle von Amphibien. Sogar Schlangen und Schildkröten haben wir in Dion gesichtet (auch wenn sie sich uns nicht für ein Foto zur Verfügung stellen wollten).

Vexierbild: Wie viele Frösche sehen Sie? – Auflösung am Ende des Texts. Foto: KW.

Jede Menge Frösche haben wir in Dion beobachtet.

Libelle mit prachtvollen blau-schwarzen Flügeln. Foto: KW.

Und dazu die unglaublich schönen Libellen mit blau-schwarzen Flügeln oder leuchtend rot.

Isis-Heiligtum. Foto: KW.

Außerhalb des eigentlichen Stadtgebiets liegen die zahlreichen Heiligtümer von Dion. So zum Beispiel das der Isis. Es ist hervorragend erhalten mit alle seinen Tempeln und Altären, Säulenhallen für die Besucher und Wohnungen für die Priester.

Gipsabguß der Statue des Harpokrates im Isis-Heiligtum. Foto: KW.

Selbstverständlich verlief in der Antike das Flußbett nicht mitten im Tempel! Es lag weiter östlich. Heute wirkt die Kombination aus Ruinen und Wasser unglaublich romantisch.

Flußgott Vaphyras. Foto: KW.

Der Vaphyras, der in der Antike schiffbar war und damit eine ausgezeichnete Möglichkeit zum Warentransport darstellte, ist mit einem wunderschönen Mythos verbunden: Oben, am Fuß des Olymps soll einst der Sänger Orpheus von rasenden Anhängerinnen zerrissen worden sein. Als diese sich nach der Tat die Hände im Vaphyras waschen wollten, war der Fluß über den Frevel so entsetzt, daß er im Boden verschwand, um erst bei Dion wieder ans Tageslicht zu kommen. So erklärten sich die Griechen das Phänomen, daß das Wasser des Flusses im Kiesbett einer Schlucht versickert und bei den Quellen von Dion wieder hervortritt.

Fußspuren zu Ehren von Isis. Foto: KW.

Das Heiligtum der Isis ist durch zahlreiche Inschriften und Funde eindeutig identifiziert. Besonders interessant sind die vielen Steine mit Fußabdrücken, die wohl Votivgaben darstellen, die die vielen Schritte symbolisieren, die ein Pilger machen mußte, um zu Isis zu kommen.

Heiligtum des Zeus Hypsistos. Foto: KW.

Erst kürzlich kam ein zweites Heiligtum für Zeus zum Vorschein. Es ist dem Zeus Hypsistos gewidmet.

Kultstatue des Zeus Hypsistos. Foto: KW.

Seine Kultstatue ist heute im Museum von Dion zu bewundern.

Alexander III. Tetradrachmon, Amphipolis, 323-317. Kopf des Herakles. Rv. Zeus n. l. sitzend. Price 112. Aus Auktion LHS 102 (2008), 142.

Zeus spielte ja nicht nur in Dion eine entscheidende Rolle, sondern auch in der Münzprägung Philipps (auf der Vorderseite) und Alexanders (auf der Rückseite).

Fundamente des Heiligtums für Zeus Olympios. Foto: KW.

Weiter außerhalb der Stadt lag das Heiligtum für Zeus Olympios.

Rekonstruktion des Opfers für Zeus Olympios. Foto: KW.

Die Beschreibungstafeln liefern einen Vorschlag, wie man sich das Opfer vorstellen könnte.

Brief Philipps V. an die Bürger und Offiziere von Dion. Foto: KW.

Während des Bundesgenossenkrieges (220-217) zerstörten die Aitoler das Heiligtum. Sie rissen die Statuen der makedonischen Könige von ihren Podesten und zerschlugen die Inschriften. Die Archäologen von heute wissen ihre Bemühungen zu würdigen. Bei den Aufräumarbeiten beerdigten die Makedonen die unbrauchbar gewordenen Bruchstücke nämlich in Schächten, die ihr Material Jahrhunderte später der Wissenschaft zur Verfügung stellen.

Das hellenistische Theater von Dion. Foto: KW.

Besonders stolz ist man in Dion auf das hellenistische Theater, das man auf Grund von Münzfunden in das frühe 4. Jahrhundert datieren will. Nun weilte der große griechische Dichter Euripides von 408 bis zu seinem Tod 406 am Hof König Archelaos I. Und so ist es „daher wahrscheinlich, daß sich an derselben Stelle das – vielleicht kleinere – Theater befunden hat, in dem die Tragödien aufgeführt worden sind, die Euripides in Makedonien gedichtet hat, nämlich der Archelaos und die Bakchen.“, wie uns der kleine Führer von D. Pandermalis informiert.

Rekonstruktion des Festes vor dem Aufbruch Alexanders III. Foto: KW.

Ferner will man hier das Festzelt lokalisieren, in dem Alexander seine großen Feierlichkeiten vor dem Aufbruch nach Asia abhielt.

Hypokaustanlage der römischen Thermen. Foto: KW.

Nicht vergessen darf man natürlich die römischen Thermen, die sich mit allem erhalten haben, was zu Thermen dazu gehört: Hypokaust, öffentlichen Toiletten, einem Odeon…

Mosaik aus den römischen Thermen. Foto: KW.

…und dem am dümmsten dreinschauenden Stier aller Zeiten.

Museum mit den Funden von Dion. Foto: KW.

Einen Besuch im Museum von Dion darf kein Besucher der Grabung versäumen.

Die museumspädagogische Abteilung des Museums von Dion. Foto: KW.

Es verfügt über eine liebevoll gestaltete museumspädagogische Abteilung in seinem Keller. Besonderen Eindruck machte mir eine Zusammenstellung aller Werkzeuge zur Bearbeitung von Steinen und Statuen, denen jeweils eine Fläche mit Bearbeitungsspuren zugeordnet war.

Münzausstellung im Museum von Dion. Foto: KW.

Auch die Münzen sind im Museum von Dion im Keller zu finden. Sie stecken in drehbaren Plexiglasständern, in die Löcher für sie ausgeschnitten wurden. Gut, die Präsentation läßt den einen oder anderen Wunsch übrig. So stehen viele Stücke grundlos auf dem Kopf und eine Beschreibung fehlt, aber immerhin zu einigen Kleinmünzen gibt es sogar eine Vergrößerung.

Detail aus der Herme mit dem Porträt des Herennianos. Foto: KW.

Beenden wir diesen erlebnisreichen Tag mit einigen der herausragenden Stücke aus dem Museum von Dion. Dies zum Beispiel ist eine Detailaufnahme des großartigen Kopfes des Herennianos, der im frühen 3. Jahrhundert n. Chr. angefertigt wurde.

Kopf des Severus Alexander. Foto: KW.

Ungefähr aus der gleichen Zeit stammt der Bronzekopf des Severus Alexander (222-235), der nicht in Dion, sondern im benachbarten Ryakia zum Vorschein kam.

Hydraulis. Foto: KW.

Wertvollstes Exponat ist die 1992 ans Licht gekommene Hydraulis, ein Musikinstrument, das zum Vorläufer unserer Orgel werden sollte. Es stammt aus dem 1. Jh. v. Chr. und ist damit das älteste, bisher bekannte Beispiel für dieses Instrument. Es besteht aus 27 unterschiedlich langen Bronzepfeifen, durch die Luft gepreßt wurde, sowie den Platten, die diese zusammenhielten.

Der Besuch von Dion gehört zu den Höhepunkten unserer bisherigen Fahrt. Auch wenn in Vergina vielleicht mehr Gold und Inszenierung zu sehen sein mag, führt einen Dion viel näher an die makedonische Geschichte und den Alltag der Bewohner dieses Landes heran.
Übrigens, wer nach Dion ins Museum kommt, sollte einen Besuch des Museumsshops nicht versäumen. Hier entdeckt man gut gemachte Repliken aus Kunststein, die zu sehr vernünftigen Preisen zu haben sind. Außerdem gibt es offizielle Münzrepliken von Stücken, die sich die meisten Sammler nie werden leisten können: Naxos (die Insel), Seriphos oder Melos. Die allerdings fand ich mit 40 Euro im Verhältnis zu den Kunststeinen reichlich teuer.

von Ursula Kampmann

PS. Und hier die Auflösung zum Vexierbild: Es handelt sich um drei Frösche.

Wenn Sie uns auf den Olymp und nach Thessalien begleiten wollen, versäumen Sie nicht die nächste Folge des „Numismatischen Tagebuchs“.

Für diejenigen unter Ihnen, die mit eigenen Augen die Schätze Nordgriechenlands entdecken wollen, führe ich im Herbst im Auftrag von Klingenstein eine Reise. Wenn Sie daran interessiert sind, klicken Sie hier. Ach ja, und keine Sorge, wir steigen nicht auf Zeltplätzen ab, sondern in Vier-Sterne-Hotels…

Alle weiteren Teile des Tagebuchs finden Sie hier.