Byzantinische Bleisiegel: Einblick in eine komplizierte Gesellschaftsstruktur

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von Ursula Kampmann

10. September 2015 – Wie leer wären unsere Museen, wenn sich nicht immer wieder Sammler dafür entscheiden würden, ihre Sammlung einem Museum anzuvertrauen. Ein gutes Beispiel dafür ist dieser neue Katalog, der die Sammlung byzantinischer Bleisiegel des Museum August Kestner publiziert. Eigentlich hätte diese aus lediglich vier Stücken bestanden, hätte nicht Marie Luise Zarnitz dazu 36 Stück gestiftet. Sie tut dies nicht zum ersten Mal. Ihre erste Sammlung mit stolzen 700 Stück, die 1997 noch im Bode-Museum ausgestellt wurde, liegt inzwischen in der Staatlichen Münzsammlung München, wo sie der Öffentlichkeit zur Verfügung steht.

Werner Seibt, Ein Blick in die byzantinische Gesellschaft. Die Bleisiegel im Museum August Kestner. Rahden / Westf. 2011. 152 S. 80 Abb. Broschiert. Fadenheftung. 16,5 x 24 cm. ISBN 978-3-86757-455-6. 19,80 Euro.

Werner Seibt, selbst nicht nur Wissenschaftler, sondern bekennender Sammler, hat den Katalog der Bleisiegel im Museum August Kestner verfasst. Und er hat dies in seiner üblichen Ausführlichkeit getan. Für nicht einmal 20 Euro erhält der Leser einen perfekten Einblick in die byzantinische Sozialstruktur.

Denn auch wenn Bleisiegel eigentlich auf den ersten Blick ziemlich spröde erscheinen, bergen sie durch ihre reichen Aufschriften eine Vielzahl von Informationen. Sie nennen den Namen des Siegelinhabers, dazu seine soziale Stellung und oft auch eine geographische Verbindung. Dadurch liefern sie reiche Informationen für die Prosopographie des byzantinischen Reichs. (Wer dieses Fremdwort nicht mag, Prosopographie ist nichts anderes als die althistorische Version eines Who’s who, der die Namen, familiären Verbindungen und Titel zusammenfasst.)

Werner Seibt führt das mustergültig vor. Jedes der 40 Siegel ist ausführlich beschrieben. Das (ausgezeichnete) Foto wird begleitet von einer ausführlichen Beschreibung und einem Kommentar. Der ist von höchstem wissenschaftlichen Anspruch und eher für den fortgeschrittenen Sammler als den Anfänger in Sachen Bleisiegel gedacht. Als Ausgleich gibt es eine wirklich kurz gefasste Einführung, die sich mit ihren gut 10 Seiten auf die wesentlichen Aspekte beschränkt, aber trotzdem interessant zu lesen ist und dem Anfänger alles vermittelt, was er erst einmal über das Thema Siegel wissen muss.

Und dann könnte die Faszination überspringen. Wer sich in die fremde Welt der byzantinischen Rangordnung verirrt, der ist zunächst erschlagen von den vielen Institutionen, den vielen Abstufungen der Ämterlaufbahnen, um dann – vielleicht – von der Faszination erfasst zu werden, die davon ausgeht, hier mitten im byzantinischen Alltag gelandet zu sein. Nehmen wir nur das Siegel des Nikolaos, der als Klerikos von Abos tätig war, als die Seldschuken dieses Gebiet schon längst erobert hatten. Das Siegel ist ein schlagender Beweis dafür, dass die kirchliche Struktur noch funktionierte, während sie durch die neuen Herren zahlreiche Einschränkungen erfuhr. Oder das Siegel des Patriarchal-Tribunals, dessen wesentliche Aufgabe darin bestand zu entscheiden, ob einem Flüchtling in der Hagia Sophia Asyl gewährt werden sollte.

Werner Seibt hat hier – wieder einmal – gezeigt, was byzantinische Bleisiegel für die Forschung erbringen können, und zwar ziemlich unabhängig davon, wo sie gefunden wurden. Kein Wunder, dass er in seinem Vorwort vehement dafür eintritt, solche Objekte zu sammeln und zu publizieren. Wir können uns dem nur anschließen und dazu raten, das Buch zu kaufen.

Das Buch kann sogar über Amazon bezogen werden.

Der Verlag freut sich aber, wenn sie direkt bei ihm kaufen.