„Sachverständiger zu sein ist mehr, als Münzen zu graden“

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22. November 2018 – Erbstreit oder Versicherungsabschluss – immer wieder muss der Wert von Münzen bestimmt werden, unbestechlich und kenntnisreich. Was genau muss ein Sachverständiger oder ein Gutachter in diesem Bereich genau können? Und was sind die besonderen Herausforderungen?

Hubert Ruß ist öffentlicher Sachverständiger für Münzen und Medaillen des Mittelalters und der Neuzeit, bestellt und vereidigt für München und Oberbayern von der zuständigen IHK.

Hubert Ruß ist öffentlicher Sachverständiger für Münzen und Medaillen des Mittelalters und der Neuzeit, bestellt und vereidigt für München und Oberbayern von der zuständigen IHK.

Hubert Ruß muss es wissen. Der promovierte Historiker ist seit 2000 für München und Oberbayern von der IHK zum öffentlichen Sachverständigen für Münzen und Medaillen des Mittelalters und der Neuzeit bestellt und vereidigt. Seit 2010 ist er geschäftsführender Vorstand von Künker am Dom in München. Im Gespräch erläutert er, was ein Sachverständigen genau macht.

MW: Was versteht man unter einem Sachverständigen oder Gutachter?
HR: Die Tätigkeit eines Sachverständigen, Gutachter und öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen unterscheidet sich erheblich in Fragen der Kompetenz und Haftung.
Per Definition durch die IHK ist ein Sachverständiger eine unabhängige Person, die auf einem bestimmten, eng abgegrenzten Sachgebiet über besondere Kenntnisse und Erfahrungen verfügt. Diese Sachkunde wird Personen, Einrichtungen und Gerichten in der Regel gegen Entgelt zur Verfügung stellt.
Ein Sachverständiger soll in der Lage sein, fachlich komplizierte Sachverhalte für den Laien verständlich und nachvollziehbar darzustellen und somit als Wissensvermittler zu fungieren.
Unter einem Gutachter wird häufig ebenfalls ein Sachverständiger verstanden, da dieser vor allem Gutachten zu bestimmten Sachverhalten erstellt, z.B. Kfz oder Schäden an Gebäuden. Der Sachverständige kann aber auch beratend tätig sein oder bestimmte Prüf- und Überwachungsaufgaben durchführen.
Der Begriff Sachverständiger ist nicht geschützt, so dass unter wettbewerbsrechtlichen Aspekten darauf geachtet werden sollte, dass die behaupteten besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen tatsächlich vorhanden sind.

Ein öffentlich bestellter und vereidigter (öbuv) Sachverständiger ist von einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung (Bestellungskörperschaft) auf gesetzlicher Grundlage bestellt und vereidigt worden. Dies können die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Landwirtschaftskammern, Ingenieur- oder Architektenkammern sowie Bezirksregierungen oder Landesämter sein.
Vor der öffentlichen Bestellung muss sich der Sachverständige hinsichtlich seiner persönlichen Eignung und seiner besonderen Sachkunde einem anspruchsvollen Prüfverfahren unterziehen. Er leistet einen Eid, seine Sachverständigentätigkeit unabhängig, weisungsfrei, persönlich und unparteiisch auszuführen und seine Gutachten nach bestem Wissen und Gewissen zu erstellen.

Wie viele öbuv Sachverständige für Münzen und Medaillen gibt es derzeit in der BRD?
Derzeit sind bei den IHKs zehn Sachverständige für Münzen und Medaillen gelistet. Die Bestellungsgebiete sind sehr unterschiedlich und reichen von „Münzen und Medaillen von der Antike bis zur Neuzeit“ bis hin zu „Münzen ab 1871“.
Alle Sachverständigen sind im Münzhandel tätig, zum einen, weil die Verdienstmöglichkeiten weit unter denen von z. B. Kfz- oder Bausachverständigen liegen. Zum andern lässt sich die geforderte überdurchschnittliche Sach- und Marktkenntnis nur erwerben und aktuell halten, wenn man ständig in der Branche tätig ist.

Wer sind denn Auftraggeber der öbuv Sachverständigen?
Zu einem sind es die Gerichte und Staatsanwaltschaften, die angewiesen sind, öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige heranzuziehen und andere Personen nur dann beauftragen, wenn besondere Umstände es erfordern. Hinzu kommen die Gerichtsvollzieher und die (Kriminal-)Polizei.
Daneben gibt es natürlich auch die Aufträge von Privatpersonen, die auf der rechtlichen Basis eines Werkvertrages geschlossen werden.

Welche Aufgaben übernimmt ein öbuv Sachverständiger?
Im Bereich der Zivil- und Strafprozesse soll der öbuv Sachverständige quasi als der verlängerte Arm des Gerichtes fungieren. Seine Aufgabe ist es, fachlich komplizierte Sachverhalte für den Richter verständlich und nachvollziehbar darzustellen. Er trägt somit direkt zur Urteilsfindung ein – eine sehr große Verantwortung.
Weiterhin wird der öbuv Sachverständige oftmals in Nachlassangelegenheiten tätig. Meist wünscht eine Partei, sei es das Nachlassgericht, Rechtsanwälte oder Erben, die Bewertung von vererbten Münzen. Ermittelt wird hierbei ein sog. „Händlerankaufswert“ zu einem bestimmten Stichtag, d.h. was hätte man erzielen können, wenn man die Münzen zu diesem Zeitpunkt im Münzenfachhandel verkauft oder über eine Auktion versteigert hätte. Der Stichtag kann hierbei auch zeitlich weit in der Vergangenheit liegen.
Ähnlich verhält es sich mit von Gerichtsvollziehern gepfändeten oder von der Polizei beschlagnahmten Münzen und Medaillen.

Kann man den öbuv Sachverständigen auch privat beauftragen?
Selbstverständlich, der öbuv Sachverständige bewertet z.B. auch bestehende Sammlungen und ermittelt den sog. „Wiederbeschaffungswert“, d.h. den Wert, der aufgewendet werden müsste, um eine Sammlung im Verlustfall in ihrer Gesamtheit wiederzubeschaffen. Dieser Wert wird dann von Versicherungen in die Police aufgenommen.

Geht denn das: in der Gesamtheit wiederbeschaffen?
Das ist natürlich von der Struktur der Sammlung ab. Viele Münzen werden immer wieder in gleicher Qualität über Auktionen oder im Münzfachhandel angeboten. Bei sehr seltenen Stücken, gar Unikaten, wird die Wiederbeschaffung zur theoretischen Möglichkeit, solche Prägungen zu bewerten ist sehr schwierig.

Sind das alle Aufgaben?
Neben der Wertermittlung im Verkaufs- oder Wiederbeschaffungsfall fällt die Prüfung von Münzen und Medaillen auf Echtheit sowie die Ermittlung von Erhaltungen in den Tätigkeitsbereich. Oftmals wird auch nur eine grobe Einschätzung angefragt, ob es sich kostenmäßig überhaupt rechnet, ein Gutachten zu erstellen.

Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um zum öbuv Sachverständigen bestellt zu werden?
Voraussetzungen für eine öffentliche Bestellung ist zunächst einmal eine mindestens zehnjährige Tätigkeit sowie eine überdurchschnittliche Sachkenntnis im gewünschten Bestellungsgebiet. Im Vorfeld ist der Besuch von Seminaren verpflichtend, in denen die theoretischen und juristischen Grundlagen für die Sachverständigentätigkeit vermittelt werden, angefangen vom korrekten Aufbau eines Gutachtens über z. B. die Fallstricke eines Ortstermins oder des Umgangs mit den Parteien bis hin zur Kooperation mit Gericht und Staatsanwaltschaft.
Die überdurchschnittliche Sachkunde ist dann durch eine Fachprüfung bei der Bestellungskörperschaft nachzuweisen. Eine Bestellung erfolgt immer nur auf fünf Jahre, danach muss der Sachverständige eine Verlängerung beantragen. Hierzu muss er seine in den letzten fünf Jahren erstellten Gutachten einreichen, die dann sowohl fachlich wie auch formal geprüft werden. Hinzu kommt mindestens eine Fortbildungsmaßnahme pro Jahr, die nachzuweisen ist.

Gibt es aktuelle Probleme bei den öbuv Sachverständigen für Münzen?
Nachdem in letzter Zeit einige Kollegen ihre Bestellung aus Altersgründen zurückgegeben haben, sind wir im Bereich Münzen / Medaillen derzeit schwach aufgestellt. Es gibt sicherlich fachlich geeignete Kollegen, die sich bestellen lassen könnten.
Abschreckend ist zum einen der Verdienst, ein Gerichtssachverständiger für Münzen und Medaillen erhält laut ZSEG derzeit 70 Euro pro Stunde. Gemessen an der vom Sachverständigen geforderten Haftung und der immer mehr um sich greifenden Unart, dass die unterlegene Partei mit allen Mitteln versucht, das Gutachten zu kippen bzw. den Sachverständigen der Befangenheit zu bezichtigen, ist es verständlich, dass man diesen Ärger scheut.
Problematisch für die von uns geforderte Prüfung sind die immer häufiger im Handel auftauchenden geslabbten Münzen, d. h. die von sogenannten Gradingfirmen bewerteten Prägungen. Diese Firmen prüfen die Münzen und Medaillen ebenfalls auf Echtheit und legen eine Erhaltung nach den in den USA geltenden Erhaltungsstufen fest. Solange der Slab ungeöffnet ist, gelten auch die gegebenen Garantien hinsichtlich Echtheit und Erhaltung.
Wenn mir als Sachverständigem eine Münze zur Prüfung vorgelegt wird, ist u.a. der Rand ausschlaggebend für meine Bewertung. Den kann ich aber im Slab nicht erkennen. Dies und die immer wieder in Slabs auftauchenden gefälschten Münzen haben uns veranlasst, keine geslabbten Prägungen mehr zur Prüfung anzunehmen. Wir stehen mit dieser Entscheidung übrigens nicht allein, auch führende deutsche Münzauktionshäuser haben zwischenzeitlich in ihren Auktionsbedingungen geslabbte Münzen von den üblicherweise vom Auktionshaus gegebenen Garantien ausgeschlossen.

Hier finden Sie die Liste aller von den IHKs bestellten Sachverständigen für Münzen und Medaillen.

Mehr über Hubert Ruß erfahren Sie in seinem Who’s-Who-Eintrag.