Zur Münzgeschichte der Grafschaft Wertheim

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von Ursula Kampmann

8. Mai 2014 – Wie einst Herakles steht heute jeder Numismatiker am Scheideweg, will er sich mit einem neuzeitlichen Thema beschäftigen. Schlägt er den breiten, den bequemen Weg ein, indem er sich lediglich auf eine Sammlung und Interpretation der Münzen beschränkt? Oder geht er den schmalen, den steinigen Weg durch die Archive, der hart und beschwerlich ist, aber am Ende den reicheren Ertrag bringt. Susanne Sauer hat sich für den steinigen Weg der Archive entschieden und dadurch einen solchen Reichtum an neuer Erkenntnis gefunden, dass es sie selbst gelegentlich zu überraschen scheint.

Susanne Sauer, Zur Münzgeschichte der Grafschaft Wertheim während der Kipper- und Wipperzeit, Wertheimer Museumsschriften Bd. 22/2013. 2013. 130 S. s/w-Abbildungen. Paperback, 29,8 x 21,1 cm. ISBN: 3-921999-21-9. Preis: 25 Euro.

Aber zunächst zu den Löwenstein-Wertheims, einem Alptraum für nicht in Genealogie geschulte Historiker. Dieses Adelsgeschlecht besaß derart zerstreute Besitzungen, dass sie beim Reichsdeputationshauptschluss von 1806 nicht weniger als sechs Staaten zugeteilt wurden: Baden, Bayern, Hessen-Darmstadt, Frankfurt, Württemberg und Würzburg. Und dabei wurden die in Böhmen gelegenen Besitzungen natürlich gar nicht berücksichtigt. Und über dieses zerstückelte Gebiet herrschten immer mehr Fürsten, da Graf Ludwig III. am 28. Juni 1597 ein Verbot der Primogenitur erließ, so dass sich seine Nachfahren überlegen konnten, ob sie ihr Gebiet noch mehr zerstückeln wollten oder sich in die Herrschaft teilten. Archivalisch gesehen ist diese Situation natürlich ein Wunschtraum, denn wo viele Fürsten viele Ansprüche haben, müssen viele Briefe geschrieben werden, um diese Ansprüche zu klären. Das ist der Grund, warum es Susanne Sauer gelingt, die Vorgänge um die Kipper- und Wipperprägung von 1621 bis 1624 in Wertheim minutiös zu rekonstruieren.

Und was man da liest, das regt die Phantasie schon erheblich an: Da stritten sich die Brüder Johann Dietrich und Wolfgang Ernst um die Münzprägung in der Münzstätte Wertheim. Aus Briefen wissen wir, dass Wolfgang Ernst die Schmelzöfen der Wertheimer Juden okkupierte, die seinem Bruder das Silber für dessen Münzprägung lieferten. Und er beschuldigte seinen Bruder, an der Ermordung des Münzmeisters Egidius Paler schuld zu sein. Der historische Hintergrund ist nicht weniger aufregend: Münzmeister Paler scheint hohe Schulden gehabt zu haben, wegen der seine Familie in Schuldhaft genommen wurde. Um nun diese Schulden abzuarbeiten und seine Familie zu befreien, ließ sich Paler darauf ein, das Amt des Münzmeisters von Wertheim zu übernehmen. Damit geriet er zwischen die Fronten der sich streitenden Brüder: Er war eigentlich als Münzmeister eingestellt, der im Auftrag beider prägen sollte, doch Johann Dietrich versuchte, die Münzprägung an sich zu reißen, um so den Schlagschatz allein einzustecken. Wolfgang Ernst wollte dies verhindern. Palers Absicht wird es gewesen sein, sich dem brüderlichen Streit durch Flucht zu entziehen. Wahrscheinlich hatte er auch ein besseres Angebot des Grafen von Hohenlohe. Doch die Flucht scheiterte. Paler wurde eingeholt und kam beim Versuch, sich der Festnahme zu entziehen, ums Leben.

Wären diese unglaublichen Hintergründe nicht schon Grund genug, das Büchlein nicht nur zu kaufen, sondern sogar zu lesen, entdeckte Susanne Sauer bei ihrer Recherche noch eine bislang völlig unbekannte und hoch bedeutende Quelle für die Münztechnik des beginnenden 18. Jahrhunderts. In den Unterlagen fand sich eine Zeichnung der Wertheimer Münzstätte, deren Vorlage der Münzmeister Johann Schmid selbst angefertigt hatte. Darauf sieht man, dass der Betrieb in fünf Bereiche getrennt war. Der Eingang erfolgte durch den „Ayren“, eine Art Flur. Von dort gelangte man in das Schmelz- und Siedhaus, wo das Silber geschmolzen und gegossen, sowie dass Weißsieden der Münzen vorgenommen wurde. Hier bot sich auch der Durchgang zur „Streck“, wo mittels einer mit einem Pferd betriebenen Tretmühle die Zaine produziert wurden. Von der „Streck“ kam man in die Schlosserei, wo Werkzeuge und Gerätschaften, die man zur Münzherstellung brauchte, produziert wurden. Der letzte Raum war die Münzstube, wo das eigentliche Prägen stattfand.

Welche Geräte dort standen? Hier will ich Frau Sauer nicht vorgreifen. Schließlich wollen Sie ja noch etwas Neues erfahren! Ich kann jedem Leser nur raten, diese hervorragende Arbeit für den geradezu lächerlichen Preis von 25 Euro zu erwerben. Sie ist mit ihrem Typenkatalog nicht nur ein neues Standardwerk zum Thema, sondern bietet darüber hinaus auch noch alle benutzten Quellen im Original.

Susanne Sauer hat mit ihrer Arbeit gezeigt, welch unglaubliche wissenschaftliche Erträge heute noch bei der Erforschung der neuzeitlichen Münzen möglich sind. Nur muss man dafür halt den steinigen Weg durch die Archive gehen …

Zu beziehen ist das Buch über die Autorin, indem Sie ihr eine E-Mail schreiben

… oder über die Seite der Münzenhandlung Sauer.