Märchenhafte Numismatik: Der silberne Schilling

Das Märchen heißt „Der silberne Schilling“ und beginnt so: „Es war einmal ein Schilling, blank ging er aus der Münze hervor, sprang und klang. ‚Hurra! Jetzt geht’s in die weite Welt hinaus!‘ Und er kam freilich in die weite Welt hinaus. Das Kind hielt ihn mit warmen Händen, der Geizige mit kalten, krampfhaften Händen; der Ältere wendete und drehte ihn Gott weiß wie viele Male, während die Jugend ihn gleich wieder rollen ließ.“
Aber in dem Märchen geht es nicht nur um solch lapidare Weisheiten, vielmehr beschäftigt sich der Autor auch mit dem intrinsischen Wert des Geldstücks: „Der Schilling war aus Silber, hatte sehr wenig Kupfer an sich …“

Dänemark. Probe zu 1 Skilling 1809. Bronze. Aus Auktion Künker 211 (2012), 2035.

Dies war zu der Zeit, als Hans Christian Andersen sein Märchen schrieb, schon überholt. Die napoleonischen Kriege hatten den dänischen Staatshaushalt dem Bankrott nahe gebracht. Seit 1808 prägte man auch in Dänemark Schillinge, bzw. Skillings, nicht mehr aus Silber, sondern aus Kupfer.

Dänemark. 1 Skilling 1583. Silber. Aus Auktion Leipziger Münzhandlung und Auktion Heidrun Höhn 47 (2005), 572.

Unser alter Schilling, auf den sich Hans Christian Andersen bezieht, war also ein besonders gutes, ein werthaltiges Geldstück, noch von echtem Schrot und Korn – und nicht wie seine Nachfolger eine Münze ohne inneren Wert. Doch wie ging man im 19. Jahrhundert mit Münzen um, die man nicht kannte? Noch gute 100 Jahre zuvor war es normal gewesen, dass jeder fremdes Geld in die städtische Münzstätte bringen konnte, wo es ihm gegen einen kleinen Aufpreis zum Materialwert abgenommen wurde. Doch im 19. Jahrhundert hatte man die Münzprägung zentralisiert. Nur wenige große Städte besaßen noch eine Münzstätte. Und dazu hatten die Staaten überall in ganz Europa begonnen, systematisch nur noch ihr eigenes Geld bzw. das der Länder, mit denen sie eine Münzunion geschlossen hatten, anzuerkennen. Wer in ein Land reiste, musste sich nun zuvor mit der lokalen Währung versehen, sein heimisches Geld wurde nirgendwo angenommen. Damit war die Zahl der verschiedenen Typen von Münzen, die sich im Umlauf befanden, stark zurückgegangen – und unser dänischer Schilling, der von seinem Besitzer mit ins Ausland genommen und dort verloren worden war, musste sich der erschreckenden Erfahrung stellen, dass ihn im ganzen Land niemand haben wollte. „Was ist das für ein Schilling! … Das ist keine Landesmünze! Der ist falsch! Der taugt nichts!“ Solche Sprüche musste sich unsere Münze fortan anhören.

Was nun folgt, ist ein Lehrstück, wie Menschen damals mit Geld, das sie für schlecht hielten, umgingen. Die wenigsten wollten den Schilling trotz seines hohen Silbergehalts, der wohl seinen Nominalwert bei weitem überstieg, behalten. Immer wieder wurde das Stück so schnell wie möglich weitergegeben – natürlich nicht offiziell. Wer bei Tageslicht mit ihm zahlte, dem erging es wie der armen Frau beim reichen Bäcker: „… der kannte gar zu gut die gängigen Schillinge, als dass er mich hätte behalten wollen, er warf mich der Frau gerade ins Gesicht.“ Also versuchte man es im Dunkeln, wenn der Empfänger nicht so genau sehen konnte, was man ihm da gab.

Wem es nicht gelang, seine schlechten Münzen weiterzugeben, der konnte es so halten wie die arme Frau nach ihrem misslungenen Versuch beim Bäcker: „Die Frau nahm mich aber wieder mit nach Hause, sie betrachtete mich mit einem herrlichen, freundlichen Blick und sagte: ‚Nein, ich will niemanden mit dir anführen! Ich will ein Loch durch dich schlagen, damit jedermann sehen kann, dass du ein falsches Ding bist, und doch – das fällt mir jetzt so ein – du bist vielleicht gar ein Glücksschilling, kommt mir doch der Gedanke so ganz von selber, so dass ich daran glauben muss! Ich werde ein Loch durch den Schilling schlagen und eine Schnur durch das Loch ziehen und dem Kleinen der Nachbarsfrau den Schilling um den Hals als Glücksschilling hängen.‘ Und sie schlug ein Loch durch mich; angenehm ist es freilich nicht, wenn ein Loch durch einen geschlagen wird, allein wenn es in guter Absicht geschieht, lässt sich vieles ertragen! Eine Schnur wurde auch durchgezogen, ich wurde eine Art Medaillon zum Tragen, man hing mich um den Hals des kleinen Kindes, und das Kind lächelte mich an, küsste mich, und ich ruhte eine ganze Nacht an der warmen, unschuldigen Brust des Kindes.“

Aber damit ist das Märchen noch lange nicht am Ende. Die nächste Episode auf der Wanderschaft unserer Münze führt nämlich vor, wie man im 19. Jahrhundert ein Loch in einer Münze ausbesserte: „‚Glücksschilling!‘ sagte sie. ‚Ja, das werden wir jetzt erfahren!‘ Und sie legte mich in Essig, bis ich ganz grün wurde, darauf kittete sie das Loch zu, rieb mich ein wenig und ging nun in der Dämmerstunde zum Lotterieeinnehmer, um sich ein Los zu kaufen, das Glück bringen sollte.“

Ob das Los gewonnen hat? Hans Christian Andersen lässt diese Frage offen. Er schickt seinen Schilling weiter von Hand zu Hand, bis ihn eines Tages ein dänischer Reisender in die Finger bekommt. Genauso wie die Momente der Dunkelheit, in der man nicht klar jede Münze prüfen konnte, war ein Fremder natürlich besonders geeignet schlechtes Geld zu entsorgen. Schließlich kannte er die Umlaufsmünzen des jeweiligen Landes nicht so genau wie die Einwohner. Und so schreibt Andersen: „Da kam eines Tages ein Reisender, ein Fremder an, bei dem wurde ich angebracht, und er war treuherzig genug, mich für gängige Münze anzunehmen; aber nun wollte er mich abermals ausgeben, und ich vernahm wieder die Ausrufe: ‚Taugt nichts! Falsch!‘ ‚Ich habe ihn für echt erhalten‘, sagte der Mann und betrachtete mich dabei recht genau …“
Doch wie freut sich der Schilling, als der Reisende ganz anders reagiert als die vielen Menschen, die ihn in den vergangenen Jahren nicht haben wollten. „… plötzlich lächelte er über sein ganzes Gesicht, das geschah sonst bei keinem Gesicht, wenn man mich betrachtete. ‚Nein, was ist doch das!‘ sagte er. ‚Das ist ja eine unserer Landesmünzen, ein guter, ehrlicher Schilling aus der Heimat, durch den man ein Loch geschlagen hat, den man falsch nennt. Das ist in der Tat kurios! Dich werde ich mit nach Hause nehmen!“

Und so geschah es natürlich dann auch: „‚Ich wurde in feines, weißes Papier eingewickelt, damit ich nicht mit den anderen Münzen verwechselt werden und abhanden kommen konnte, und bei festlichen Gelegenheiten, wenn Landsleute sich begegneten, wurde ich vorgezeigt, und es wurde sehr gut von mir gesprochen; sie sagten, ich sei interessant; es ist freilich merkwürdig, dass man interessant sein kann, ohne ein einziges Wort zu sagen.
Und endlich kam ich in die Heimat an! All meine Not hatte ein Ende, die Freude kehrte wieder bei mir ein, war ich doch aus gutem Silber, hatte das echte Gepräge! Und gar keine Widerwärtigkeiten hatte ich mehr auszustehen, obgleich man das Loch durch mich geschlagen hatte, weil ich als falsch galt, doch das tut nichts, wenn man es nur nicht ist! Man muss ausharren, alles kommt schließlich mit der Zeit zu seinem Recht! Das ist mein Glaube‘, sagte der Schilling.“

Hans Christian Andersen (1805-1875).

Und damit hatte Andersen natürlich die Moral von seiner Geschichte – schließlich schrieb er seine Kunstmärchen nicht in erster Linie zur Unterhaltung, sondern zur Erbauung und Erziehung seiner Leser. Was wirklichen Wert hat, das setzt sich durch, so seine Behauptung, man muss nur die Ausdauer haben, alle Anfechtungen zu bestehen.
Und wem die Moral dieser Geschichte ein bisschen zu moralinsauer ist, der hat mit dem Märchen „Der silberne Schilling“ wenigstens das Vergnügen gehabt, Menschen des 19. Jahrhunderts im alltäglichen Umgang mit ihrem Geld zu erleben.