Landgraf Karl: Schöpfer der Militärmacht Hessen

Er war ein Kind des Barock, jener Landgraf Karl von Hessen, der am 3. August des Jahres 1654 zur Welt kam. Sechs Jahre lag mittlerweile der feierliche Friedensschluss von Osnabrück und Münster zurück, doch die Wunden des Dreißigjährigen Krieges waren noch nicht geheilt.

Landgraf Karl I. von Hessen-Kassel. Kupferstich um 1700. Quelle: Vrije Universiteit, Amsterdam / Wikipedia.

Karl war 21 Jahre alt, als er die Regierung übernahm. Es war eine schwere Bürde für den jungen Mann. Der Aufgaben waren so viele, dass sie schier nicht zu bewältigen schienen: Die Bevölkerungsverluste des Krieges mussten wettgemacht und die Wirtschaft neu belebt werden, dazu forderte der Kaiser immer mehr Truppen, um sie im so genannten Holländischen Krieg – besser bekannt als der (zweite) Raubkrieg Ludwigs XIV. – an der französischen Front einzusetzen.

2 Goldgulden 1677, Kassel, Edergold. Rv. Flusslandschaft an der Eder, im Vordergrund lagert der Flussgott n. l. im Schilf mit Ruderstangen und Quellurne. Friedberg 1271 („Unique“). Aus Auktion Künker 220 (30. Oktober 2012), 7589. Schätzung: 100.000 Euro.

Karl war gut vorbereitet. Seine Lehrer hatten ihm die Prinzipien des damals vorherrschenden Wirtschaftssystems, des Merkantilismus erklärt, und er hatte sie verinnerlicht. Man solle im Land die eigenen Rohstoffe fördern, den Export anregen und den Import möglichst gering halten. In diesen Zusammenhang gehört der Versuch, die Goldproduktion in Hessen-Kassel anzukurbeln. Bei Frankenberg stand ein Goldwaschwerk, das allerdings jährlich nur zwischen 20 und 40 Loth Gold, also etwa zwischen 300 und 600 Gramm produziert haben soll. Kein Wunder, dass die Münzen aus Edergold zu den seltensten Flussgoldprägungen überhaupt gehören. Dazu passt, dass der bei der kommenden Künker-Auktion angebotene doppelte Goldgulden aus Edergold von 1677, also aus dem ersten Jahr, in dem Karl Edergold verprägen ließ, mit stolzen 100.000 Euro geschätzt ist.

Doch solche Erträge reichten bei weitem nicht aus, um die Landgrafschaft Hessen-Kassel zu sanieren. Zum Motor der Wirtschaft wurden weder die Industrie noch die Rohstoffe, sondern die Armee. Der Dreißigjährige Krieg hatte die europäischen Staaten gelehrt, dass militärische Potenz Schutz, Macht und politischen Einfluss bedeutete. Das gut gedrillte Berufsheer hatte sich der schlecht geschulten Bürgerwehr als hoffnungslos überlegen erwiesen. Karl machte deshalb von seinem Recht Gebrauch, seine Untertanen an den Waffen ausbilden zu lassen. Zeit seines Lebens achtete er darauf, dass nur die Männer in sein Heer eingezogen wurden, die freiwillig kamen und sonst keine großen Möglichkeiten hatten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Zu ihrem Unterhalt ließ er eine steuerliche Erfassung aller Untertanen im Jahre 1681 durchführen.
Die Einwohner Hessens waren nämlich verpflichtet, Geld- und Sachleistungen für das Heer zu stellen. Besonders unbeliebt waren die Spanndienste, die Männer, Pferde und Wägen zu einer Zeit vom Acker fernhielten, als die Landwirtschaft diese dringend benötigt hätte. Sie wurden an Unbeliebtheit nur noch von den Einquartierungen übertroffen, die private Bürger zwangen, junge (und häufig ziemlich ungebärdige) Soldaten in ihren Haushalt aufzunehmen.

1684 bestand die Armee von Hessen-Kassel aus rund 6.000 Männern. Eine beträchtliche Zahl, wenn man bedenkt, dass Karls Hauptstadt Kassel damals gerade einmal 7.500 Einwohner zählte – sie sollte ein halbes Jahrhundert später, beim Tod des Fürsten auf rund 20.000 anwachsen. Die Armee bot zu diesem Zeitpunkt rund 12.000 Soldaten Lohn und Brot.
Wie auch immer, schon 6.000 Männer zu ernähren, besolden, unterzubringen und anzuziehen war teuer, zu teuer, als dass man diese Kosten hätte in Friedenszeiten vertreten können. Die Lösung lautete: Subsidien. Auf dem Peloponnes kämpften die Venezianer gegen die Türken. Die Sache war einfach: Venedig hatte Geld, Hessen Soldaten. Bald kämpften die Hessen an allen Kriegsschauplätzen Europas. Einen Vorteil hatte Landgraf Karl davon immer, entweder einen politischen oder einen finanziellen.

Im Jahr 1692 zum Beispiel wurden rund 600.000 Reichstaler für den Unterhalt der Armee veranschlagt. Aus hessischen Quellen kamen lediglich 240.000 Reichstaler, der Rest wurde über Subsidien aufgebracht. Im Spanischen Erbfolgekrieg zahlte Hessen 3.000 Soldaten, während die Holländer und Engländer für weitere 6.000 hessische Soldaten den Sold übernahmen. In den letzten Lebensjahren Karls hatte sich das System optimiert. Zwischen 1726 und 1730 betrugen die Einnahmen des Kriegspfennigamts 6,9 Millionen, die Ausgaben lagen bei 6,3 Millionen Reichstaler. Das Heer kostete den Landgrafen also nichts mehr, sondern brachte ihm einen Reingewinn von rund 100.000 Reichstaler pro Jahr!

Silbermedaille o. J. (1714) von G. L. Scheff auf die Vollendung des Schlosses Wilhelmshöhe und der Wasserwerke auf dem Karlsberg bei Kassel. Schütz 1519. Aus Auktion Künker 220 (30. Oktober 2012), 7614. Schätzung: 2.000 Euro.

Diese Subsidien sorgten dafür, dass viele Zweige der hessischen Wirtschaft blühten. Jeder Soldat brauchte eine Uniform, was die Woll-, Tuch- und Färbeindustrie ankurbelte. Davon profitierten die Bauern, die Schafe hielten und Flachs anbauten, und die Alaunwerke, in denen das zum Färben unabdingliche Alaun produziert wurde. Die staatseigenen Eisenhütten und Eisenhämmer lieferten Gewehre und Kanonen und machten damit ein ausgezeichnetes Geschäft, dessen Erträge in die wohl bekannteste Leistung des von Karl gegründeten Messinghofes bei Kassel investiert werden konnte: In den zwischen 1713 und 1717 produzierten Herkules für den Karlsberg.

Karl I. 1/8 Reichstaler 1723, Kassel. Rv. Der gekrönte hessische Löwe steht n. l. auf einem Postament, das mit einer 8 versehen ist und hält mit beiden Pranken eine Handgranate. Aus Auktion Künker 220 (30. Oktober 2012), 7598. 100 Euro.

Und das Heer brachte nicht nur Geld, sondern auch Prestige. Einen kleinen Hinweis darauf, wie stolz man in Hessen auch in der Bevölkerung auf das Heer war, ist die „Weltkugel“, die der Löwe auf einem Achtel Reichstaler von 1723 in seinen Pranken hält. Es handelt sich nicht um einen traditionellen Erdball, sondern um eine kleine Handgranate, wie sie von den Grenadieren – die genau daher ihren Namen haben – geworfen wurde.

Karl I. Goldmedaille zu 100 Dukaten 1693 von P. H. Müller auf den Entsatz der Festung Rheinfels. Schütz 1324var. Aus Auktion Künker 220 (30. Oktober 2012), 7608. Schätzung: 20.000 Euro.

Sicher nicht für die Bevölkerung gedacht waren die prachtvollen Medaillen, die Landgraf Karl auf den Entsatz von Rheinfels anfertigen ließ. Diese strategisch hoch bedeutende Burg befand sich im Besitz von Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels-Rotenburg, Großonkel von Landgraf Karl. Ernst hatte den Sporn über dem Rhein zu einer modernen Festung ausbauen lassen, in der er residierte. Im Dezember 1692 rechnete man mit dem Anmarsch der Franzosen. Ernst war zu diesem Zeitpunkt bereits 69 Jahre alt und vielleicht nicht mehr im Vollbesitz seiner Kräfte (er starb nur fünf Monate nach dem Ende der Belagerung). Ernst verbat sich noch am 15. Dezember 1692 jegliche Einquartierung von Truppen, um am 16. Rheinfels Hals über Kopf zu verlassen und die Verantwortung dem Truppenkommandanten Karls zu aufzuhalten. Dem gelang es buchstäblich in letzter Minute, 4.000 Mann nach Rheinfels zu führen, ehe die Franzosen ihren Belagerungsring schlossen und mit dem Artilleriebombardement begannen.
Vier Tage später brach Karl an der Spitze eines Heeres von Kassel auf, um Rheinfels zu entsetzen. Aus den Belagerern wurden Belagerte. Die rund 1.800 Franzosen zogen sich angesichts der hessischen Übermacht widerstandslos in der Nacht vom 2. auf den 3. Januar 1693 zurück. Karl hatte ohne eine große Schlacht schlagen zu müssen, allein durch die Demonstration seiner militärischen Möglichkeiten, einen prächtigen Sieg errungen. Dies ließ er auf zahlreichen Medaillen verewigen.

Als Landgraf Karl am 23. März 1730 starb, hinterließ er seinen Söhnen ein gefestigtes Reich, das seinen Platz unter den Großmächten der damaligen Zeit erobert hatte. Sein Sohn Friedrich heiratete die schwedische Thronerbin und amtierte über 30 Jahre lang als schwedischer König. Ein Enkel Karls ehelichte die Tochter des englischen Königs, der zweite die Tochter des Königs von Dänemark und Norwegen. Und die Großenkelin wurden Königin von Dänemark und Norwegen. Lassen wir es damit bewenden. Karls Nachkommen herrschten noch bis 1866 über die Landgrafschaft Hessen-Kassel.

Wenn Sie den Edergold-Doppeldukat auf der Künker-Website finden wollen, klicken Sie hier.

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