Forscherphantasien und Jupiters Blitzbündel: „Zeitalter der Fälschung“

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19. Mai 2011 – Eine neue Ausstellung im Laténium in Hauterive / Neuchâtel (CH) widmet sich dem „Zeitalter der Fälschungen“. Antike Fälschungen und Fälschungen von Antiken, Mogeleien und echte Repliken: Die Ausstellung zeigt, was sonst im Verborgenen bleibt.

Fälschungen sind aufschlussreich: Sie enthüllen die Träume der Archäologen, die Illusionen und Lügen unserer Vorfahren und es gibt sie schon seit Urzeiten! Die Archäologie fasziniert, denn sie gibt die Möglichkeit, verborgene Wahrheiten längst vergessener Zeiten zu berühren. Aber die Vergangenheit weckt auch die Gewinnsucht geschickter Fälscher. Seit zweihundert Jahren entwickeln die Archäologen technisch zunehmend ausgefeiltere Methoden, um die Authentizität der Fundstücke zu prüfen und Fälschungen zu entlarven.

Museum und archäologischer Park Laténium – Quelle: Laténium (Cliché Y. André).

Die vom Forscherteam des Laténiums konzipierte Ausstellung „L’âge du Faux“ („Das Zeitalter der Fälschung“) mit renommierten oder unbekannten Stücken aus Privatsammlungen und zahlreichen Museen der Schweiz und des Auslandes regt dazu an, das Authentische vom Gefälschten zu unterscheiden. Sie zeigt aber auch, dass Fälschungen aufschlussreich sind: Sie offenbaren die Erwartungen, Vorstellungen und Träume der Archäologen. Man wird feststellen, dass eine Fälschung nie ganz falsch ist und das, was man für authentisch hält, nie ganz echt … Fälschungen zeigen, dass Lug und Betrug so alt wie die Menschheit selbst sind!

Das Ausstellungskonzept
Die Fundarchive der Museen sind gefüllt mit Fälschungen und rätselhaften Gegenständen, die die Konservatoren tunlichst vor den Augen der Öffentlichkeit verbergen. Mit der Ausstellung „L’âge du Faux“ bringt das Laténium die Ausstrahlung, die von diesen manchmal spektakulären und immer aufschlussreichen Stücken ausgeht, ans Tageslicht.

Eingangsbereich der Ausstellung – Quelle: Laténium (M. Juillard).

Das Museumsteam hat die Fundmagazine auf der Suche nach diesen geächteten Objekten durchforscht. Sammlungen und Museen in der Schweiz und im Ausland – insbesondere so berühmte französische Museen wie der Louvre, das Musée d’Archéologie Nationale oder das Musée du Quai Branly – wurden um Leihgaben angefragt, um eine einzigartige Auswahl an Stücken aus antiken, prähistorischen und historischen Sammlungen aus Europa, Afrika, Asien und Amerika zusammenzustellen.

Diese Auswahl an sehr unterschiedlichen Stücken vereint die fossilen Reste des ersten Menschen, ägyptische Statuetten und Portraitbüsten, chinesische Terrakotta-Soldaten, keltische Waffen, „Hieroglyphen“ der ältesten Sprache, die Goldtiara eines Skythenkönigs, griechische, römische und etruskische Vasen, ein Bronzepferd, echte Münzfälschungen, paläolithische Verzierungen und Schmuck, Kultgegenstände aus den Pfahlbauten, neolithische Beile, den berühmten „Missing Link“ zwischen Affe und Mensch … und sogar das Blitzbündel Jupiters!

Manche dieser Gegenstände sind „echte“ Fälschungen, andere sind nur zum Teil gefälscht und bei vielen von ihnen handelt es sich um authentische archäologische Funde, deren Fremdartigkeit das Sachverständnis der Spezialisten auf den Prüfstein stellt. Aber um dies beurteilen zu können, muss der Besucher selbst die Begegnung mit den Fälschungen machen!

Rundgang durch die Ausstellung

Farbspiele in einem bewegten Ablauf
Die Geschichte der Fälschungen besteht aus kleinen Anekdoten und großen „Affären“, die das lange Abenteuer der Archäologie begleiten. Um diesen bewegten Ablauf zu rekonstruieren, wurde eine schlichte Szenografie gewählt, bei der mit Transparenz, Ellipsen und Illusionen, Licht und Farbe gespielt wird. In einem großen, offenen Saal folgen sieben Themenbereiche aufeinander, von denen jeder durch eine eigene Farbe gekennzeichnet ist, um die vielfältigen Facetten der Fälschung … und des Authentischen zu veranschaulichen.

Einleitung: der Bilderkonsum
In der Eingangshalle des Museums trifft der Besucher auf moderne Kunstwerke und allzu vertraute Gegenstände – Fälschungen, die den Verlust von Anhaltspunkten in unserer Konsumgesellschaft verdeutlichen und uns dazu veranlassen, in der Archäologie eine letzte Zuflucht zu materieller Authentizität zu sehen. Unter einem riesigen Vorhang aus wiederverwerteten Materialien, besteigt der Besucher die Stufen, die ihn in die Ausstellung führen.

Vorsätzliche Fälschung: zu schön, um echt zu sein!
Am Eingang des Ausstellungssaales sind in einer ersten großen Vitrine Antiquitäten zum Kauf angeboten: Es ist das Schaufenster eines Antiquitätenhändlers, der aus Gewinnsucht hergestellte, vorsätzliche Fälschungen verkauft.

Goldtiara des Skythenkönigs Saitapharnes (3. Jh. v. Chr.). Fälschung des späten 19. Jh. Musée du Louvre, Paris – Quelle: RMN (H. Lewandowski).

Ein kegelförmiger Zeremonialhut aus Gold, verziert mit mythologischen Szenen…

Hellenistische Terrakotten aus der Nekropole von Tanagra (Böotien, Griechenland). Fälschung aus dem 19. Jh. Musée d’Art et d’Histoire, Genf – Quelle: Laténium (J. Roethlisberger).

…ansprechende Terrakottafigürchen, ein Bronzepferd und griechische Vasen, prähistorische Schmuckstücke… Solche spektakulären Stücke scheinen uns vertraut, denn sie wurden nach echten Vorbildern angefertigt. Aber ihre zu starke Ausstrahlung ist unglaubwürdig: sie sind zu schön, um echt zu sein…

Harmlose Schwindeleien
Fälschungen sind bisweilen harmlos: Sie entstammen der lebhaften Fantasie mancher Sammler oder wurden spaßeshalber von Forschern gefertigt, wie beispielsweise eine rätselhafte Sirene oder die „prähistorische“ Malerei einer Jagdszene auf den Dahu, die in diesem zweiten Abschnitt der Ausstellung gezeigt werden.

Die „großen Affären“ oder wenn die Fälschung hilft, das Original zu definieren
Manche Fälschungen haben außerordentliche Berühmtheit erlangt: Sie haben Medienskandale hervorgerufen, die die archäologische Forschung ins Wanken brachten. Ihre Entlarvung hat bei der Bestätigung der Methoden und Techniken unseres Faches eine entscheidende Rolle gespielt. Im dritten Abschnitt der Ausstellung entdeckt der Besucher insbesondere die fossilen Reste des ersten Menschen, die Jules Verne inspiriert haben, oder die gravierten Knochen, die es erlaubten, die Echtheit der paläolithischen Kunst zu erkennen.

Echter Fund – falsche Herkunft
Andererseits werden echte Fundstücke manchmal zu archäologischen Fälschungen, wenn die Fundzusammenhänge oder der Fundort gefälscht werden, wie ein keltisches Schwert, das mit der Etikette „La Tène“ versehen wurde, um seinen Verkaufswert zu erhöhen.

Falsche Interpretation
Eine Fälschung kann auch aus der Fehlinterpretation eines echten Gegenstandes hervorgehen, wie es ein neolithisches Beil zeigt, das vor 2000 Jahren entdeckt und von unseren römischen Vorfahren als das Blitzbündel Jupiters interpretiert wurde…

Die Grenzen zwischen echt und gefälscht
Der sechste Abschnitt der Ausstellung beschäftigt sich mit der Ambivalenz der Fälschungen, die sowohl von heutigen als auch von prähistorischen Fälschern geschaffen wurden. So wurde eine gefälschte Truhe aus dem Mittelalter, die an das Schloss Chillon verkauft wurde, aus echten mittelalterlichen geschnitzten Holzbrettern geschreinert. Ein Louis d’Or wurden zwar von Münzfälschern geprägt, es handelt sich aber um authentische Stücke aus der Zeit von Louis XIV.

Goldmünze aus La Tène (ca. 200 v. Chr.). Keltische Nachahmung griechischer Goldmünzen. Musée d’art et d’histoire, Neuchâtel – Quelle: Musée d’art et d’histoire, Neuchâtel (A. de Tribolet).

Und echten Goldmünzen aus La Tène? Hier handelt es sich tatsächlich um keltische Nachahmungen griechischer Münzen! Ein Bronzegefäß wurde von keltischen Handwerkern gefertigt, aber aus Fragmenten von etruskischen Bronzeblechen… Genauso datieren Schmuckstücke aus Meeresmuscheln wirklich vom Ende der letzten Eiszeit… aber die prähistorischen Jäger haben gemogelt: Die Schmuckstücke wurden aus Vogelknochen geschnitzt! Auch die Leichenbalsamierer einer ägyptischen Katzenmumien waren Betrüger: Wie es die Röntgenaufnahmen zeigen, wurde das falsche Material mumifiziert…

Abschließend kann man feststellen, dass die Grenzen zwischen echt und gefälscht fließend sind. Denn zwischen Nachahmung, Wiederverwendung und Kopie haben unsere Vorfahren auch Originale vorgetäuscht und Fälschungen geschaffen… Mit einem Wort, Betrug gab es schon immer!

Das Faksimile: eine von der Wissenschaft beglaubigte Kopie
Der letzte Abschnitt der Ausstellung führt den Besucher in das Labor eines Konservators, wo Fundstücke geprüft werden. Dort werden aber auch originalgetreue Kopien hergestellt:

Portraitbüste Julias, einer römischen Prinzessin (20-30 n. Chr.), und Kopien aus Gips und Kunstharz. Laténium, Hauterive/Neuchâtel – Photo Laténium (M. Juillard).

Ein keltische Dolch oder die Marmorbüste der römischen Kaiserprinzessin Julia könnten auch Spezialisten mit der allergrößten Erfahrung täuschen … Aber solche Faksimiles sind keine wirklichen Fälschungen: Wie es zum Abschluss der Schild aus La Tène zeigt, wurden sie zu wissenschaftlichen Zwecken geschaffen, um unersetzliche Elemente unseres Kulturgutes besser zu dokumentieren.

So schließt sich der Kreis: Im „Zeitalter der Fälschungen“ kann man die Ambivalenz der Fälschungen von den Anfängen bis heute entdecken. Wenn die archäologische Kopie der wissenschaftlichen Erkenntnis dient, so sind authentische Antiquitäten manchmal…echter Betrug!

Ein aktuelles Thema
In unserer konsumorientierten Gegenwart sind Bilder und virtuelle Zeichen wertbestimmend und benötigen keine materiellen Bezüge mehr. Die Archäologie scheint daher heute die letzte Garantie für echte materielle Authentizität zu liefern: Durch die Ausgrabung reeller materieller Hinterlassenschaften vergangener Zeiten, gibt sie allein die Möglichkeit, das Echte zu berühren.

Die Ausstellung des Laténiums zeigt aber auch, dass die Archäologie und ihr illusorischer Kult absoluter Authentizität, Fälschungen erst möglich gemacht haben. Auch wenn die Geburt der Archäologie ein neues Zeitalter eröffnet hat („Das Zeitalter der Fälschung“), so kann man zumindest sehen, dass nichts wirklich echt ist und dass in Fälschungen auch Authentisches steckt – gestern wie heute…

Ein reichhaltiges Begleitprogramm
Die Ausstellung „L’âge du Faux“ wird durch ein reichhaltiges Begleitprogramm ergänzt: Events, thematische Führungen, Fachvorträge und Filmvorführungen stehen während der gesamten Dauer der Ausstellung auf dem Programm.

Das Team der Abteilung für Kulturvermittlung hat darüber hinaus spezielle Gruppenangebote entwickelt (auf Voranmeldung): Einzelführungen durch die Sonderausstellung (45 min), sowie einen didaktischen Workshop für Kinder ab 8 Jahren. Dieser Workshop mit dem Titel „Copie conforme“ („Originalgetreue Kopie“) führt in die Arbeit der Restauratoren in der Archäologie ein: Die Kinder stellen ein Faksimile eines Fundstückes aus den Sammlungen des Laténiums her, das sie dann mit nach Hause nehmen dürfen.

Das Buch zur Ausstellung
Der Begleitband zur Ausstellung wird Mitte Juni 2011 erscheinen. Dieses Gesamtwerk aus der Feder der führenden Spezialisten vereint etwa vierzig Beiträge, die von Archäologen, Anthropologen, Historikern und Numismatikern, Universitätsforschern und Museumskonservatoren in der Schweiz, Frankreich und Deutschland verfasst wurden. In diesem reich bebilderten Band werden die ausgestellten Stücke besprochen und die Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Begriff der Authentizität in der Archäologie vorgestellt, vom Paläolithikum bis ins Mittelalter und von der Ägyptologie bis zur provinzialrömischen Archäologie.

Als Epilog wird hier eine von John Howe, künstlerischer Leiter der Kinoverfilmung des „Herrn der Ringe“ verfasste Novelle exklusiv veröffentlicht.

M.-A. Kaeser (Hg.), L’âge du Faux. L’authenticité en archéologie. Hauterive, Editions du Laténium, 2096 Seiten, CHF 29.

Nähere Informationen zur Ausstellung bietet die Seite des Laténium.

Wie schwierig es fällt, bei modernen Produkten zu klären, was das Original und was eine Fälschung ist, diskutiert dieser Artikel.