Die Zürcher und ihr Geld 7: Der „Raub“ des Kirchensilbers


mit freundlicher Genehmigung des MoneyMuseum

In unserer Serie „Die Zürcher und ihr Geld“ nehmen wir Sie mit in die Welt des vergangenen Zürich. Im Herbst 1526 knisterte es in der Luft: Das reformierte Zürich hatte soeben die Kirche auf seinem Territorium enteignet. Dazu gibt es wie auf einer guten DVD ein Making of, also welcher numismatisch-historische Hintergrund zu diesem Gespräch gehört.

Herbst 1526. Ein Zürcher und ein Luzerner schließen auf dem Markt zu Baden einen Handel ab. Gezeichnet von Daniel Pelagatti / Atelier bunterhund. Copyright MoneyMuseum / Zurich.

Zürcher: Also, abgemacht.

Luzerner: Gut. Ein Batzen für dieses Paar magere Wildtäubchen.

Das ist viel zu wenig für diese prachtvollen Geschöpfe. Mit was zahlst du?

Mit einem Zürcher Batzen.

Gut. (Pause, dann zunächst verblüfft, entsetzt, empört) Aber was ist denn das? Warum trägt der Batzen denn einen Stempel? Das ist ja ein Kelch? Was soll das? Willst du mich verarschen?

(voll von verhaltenem Lachen)
Aber nein, so laufen bei uns die Zürcher Batzen jetzt um. Ist doch korrekt. Sie sind aus dem Silber der Kelche gemacht, (hitzig werdend) die ihr aus den Kirchen und Klöstern gestohlen habt. Unrecht Gut habt ihr vermünzt. Von Rechts wegen müssten diese frevelhaften Münzen verboten sein, verboten – hast du mich verstanden?

Jetzt hör mal, du Pfaffenfreund, nur weil ihr der Kirche hinten und vorn alles reinsteckt und eure Armen verhungern lasst! Wir in Zürich folgen dem reinen und unverfälschten Wort Christi. Wir haben’s der reichen Kirche genommen und den Armen gegeben. Für 14.000 Gulden haben wir goldenes und silbernes Gerät beschlagnahmt, das zu nichts anderem gedient hat, als der Eitelkeit von Stiftern und Kirchenherren zu schmeicheln. 14.000 Gulden, dafür bekommen 750 Arme ein halbes Jahr lang jeden Tag drei volle Mahlzeiten! Ist das Geld so nicht besser angewendet, wenn es für Gottes Ebenbilder auf Erden gebraucht wird?

Ja, ja, fromme Worte, und wie viel ist bei den Armen angekommen? Mach mir doch nichts weis! Eure Obrigkeit hat doch nur einen Weg gesucht, wie sie die 24.000 Gulden ersetzen kann, die sonst der Papst Jahr für Jahr für die Zürcher Söldner gezahlt hat! Ein Haushaltsloch gestopft habt ihr mit dem, was Generationen von Christen für ihr Seelenheil gestiftet haben. Ihr Zürcher Schelme! Diesen Kelchdieb Zwingli sollte man von Rechts wegen aufhängen!

Aber…

Wir haben’s ja versucht, wir haben auf der Tagsatzung den Antrag gestellt, Eure Münzen aus Kirchensilber auf dem Schweizer Markt zu verbieten. Recht wäre ihnen geschehen. Aber diese feigen Politiker haben gefunden, dass sie nur zirkulieren sollen, solang der Silbergehalt stimmt. Bitte, jetzt zirkulieren sie, aber jeder soll wissen, woher das Silber stammt, aus dem diese Münzen sind.

Ach, halt’s Maul.

Was soll ich, dir geb ich gleich… (endet in einem Getümmel)

Zürich Guldiner (sog. Kelchtaler) 1526. Münzmeister Niklaus Sitkust (1526-1533). Aus Auktion LHS 95 (2005), 337.

Making of:
Gleich nachdem der Zürcher Rat in der Reformation den Anspruch auf allen kirchlichen Besitz erhoben hatte, stellte sich die Frage, wer der neue Eigentümer des beschlagnahmten Guts sein sollte. Noch im Januar 1525 beschloss man, die Rückerstattungspflicht abzuschaffen, die gegenüber privaten Stiftern bis dahin noch bestand. Wer auch immer in der Vergangenheit ein Grundstück, einen Kelch, ein Messgewand oder ein Reliquiar gestiftet hatte, seine Ansprüche wurden zugunsten der Armenkasse aufgehoben. Am 9. Januar wurde der kirchliche Besitz von kostbaren Kleinodien aus dem beschlagnahmten Gut herausgelöst, doch vorläufig blieb ungeklärt, wozu das Gold und Silber, die Edelsteine und Perlen verwendet werden sollten.

Im September 1525 verfügte der Rat, „dass man alles Silber und Gold, auch die Kleinodien und Zierden der Stifte und Klöster in Stadt und Land zu Hand der Obrigkeit sammelte“. Allein an Gold und Silber soll Material im Wert von 14.000 Gulden zusammengekommen sein. Doch anstatt dies ausschließlich, wie ursprünglich vorgesehen für die Armenpflege zu benutzen, entschied der Rat, es ausmünzen zu lassen. Der Erlös sollte dem Seckelamt und dem Almosenamt zufließen. Tatsächlich ging das Almosenamt leer aus. Allein das Seckelamt, die wichtigste Finanzkasse von Zürich erhielt die neu ausgeprägten Münzen. Diese dienten wohl in erster Linie dazu, das stattliche Loch zu stopfen, das entstanden war, weil der Rat beschlossen hatte, jedes Reislaufen (Solddienst im Ausland) einzustellen. Damit fielen für die Staatskasse die Summen aus, welche für die Erlaubnis, Söldner zu werben, bezahlt worden waren. Allein aus den Geldern des Papstes waren dem Zürcher Seckelamt jährlich über 24.000 Gulden zugeflossen.

Es klaffte also Realität und moralischer Anspruch bei der Zürcher Konfiskation des Kirchenguts weit auseinander, eine Tatsache, die vor allem in den katholischen Kantonen mit großer Wut zur Kenntnis genommen wurde. Ausdrücke wie „Schelme zu Zürich“ oder „Kelchdieb Zwingli“ wurden zu stehenden Begriffen. Ein Holzschnitt des Jahres 1527 zeigt Zwingli sogar am Galgen hängend, während Moses die Tafeln der 10 Gebote vorweist und auf ein Schriftband deutet, auf dem zu lesen steht „Du sollst nicht stehlen“.

Solche Schmähungen beschränkten sich nicht auf die literarische Auseinandersetzung. Uns sind zahlreiche deftige Wortgefechte überliefert, wie sie zwischen Altgläubigen und Reformierten stattfanden, wann immer sie aufeinander trafen. Führen wir hier nur ein Beispiel auf. In Konstanz sagte man, Zwingli habe folgendermaßen gepredigt: „Wer viel von solcher Speise [in der Messfeier] genieße und esse, der scheiße umso mehr, und wer viel von dem Trank [dem Messwein] trinke, der seiche umso mehr.“ Die gegenseitigen Schmähungen wurden derartig schlimm, dass ein eigener Artikel in den ersten Landfrieden, der 1529 den Ersten Kappelerkrieg beendete, aufgenommen wurde, der Schmähreden unter Strafe stellte. Unsere beiden Protagonisten im Hörspiel wären in der Zeit nach der Reformation also nicht als ungewöhnlich empfunden worden.

Als einen ganz besonderen Schimpf empfanden es die Zürcher, als ihr eigenes Geld immer häufiger mit privat eingepunzten Gegenstempeln in Form eines Kelchs auf dem Markt auftauchte. Sie schrieben diese neue Beleidigung den Zugern und den Luzernern zu. Nachdem nämlich auf der Tagsatzung von Luzern Anfang August 1526 ein Antrag gescheitert war, dass man die Zürcher Batzen, die aus dem gestohlenen Kirchensilber hergestellt worden waren, verbieten solle, scheinen einige Privatleute ihre Meinung auf diese recht unverblümte Art und Weise zum Ausdruck gebracht haben.

Wir wissen von den sogenannten Kelchtalern und Kelchbatzen aus einer Reihe von schriftlichen Quellen der Reformationszeit. Der junge Heinrich Bullinger hat ihnen ein ganzes mehrseitiges Manuskript gewidmet, in dem er die Zürcher gegen die „frevelhaften“ Angriffe verteidigt. In der Schweizer- und Reformationschronik des Johannes Stumpf findet sich sogar eine Abbildung dieser Stücke. Auf uns gekommen, ist allerdings kein einziges gesichertes Beispiel eines zeitgenössischen Kelchtalers oder -batzens mit dem berühmt-berüchtigten Gegenstempel.

Im 19. Jahrhundert rief A. Geigy die Schweizer Bevölkerung auf, ein eventuelles Vorhandensein solcher Stücke dem Schweizerischen Landesmuseum anzuzeigen. Tatsächlich kamen daraufhin drei Beispiele in den Besitz des Landesmuseums, die heute von Numismatikern mit großem Misstrauen betrachtet werden. Nichts nämlich ist leichter zu fälschen als ein Gegenstempel. Und wo ein Bedarf einer sammelnden Institution so klar ausgesprochen wird, ist die Versuchung groß, eine nicht vorhandene Münze anzufertigen, um liefern zu können.

Es ist auch durchaus vorstellbar, dass keines der so geschmähten Geldstücke sich von der Reformation bis heute erhalten hat. Schließlich lag es im Interesse derjenigen, welche die Stücke gegenstempelten, sie den Zürchern zu Gesicht zu bringen. Und die Zürcher haben mit Sicherheit alle bei ihnen einlaufenden Stücke sofort eingeschmolzen.

Noch eine kurze Anmerkung zu den Wildtäubchen, die unser Zürcher auf dem Markt von Baden verkauft. Hier gab die Anregung eine kleine Anekdote um die Badener Disputation 1526. Ihr wohnte im Auftrag Zwinglis ein Spion bei, der täglich nach Zürich meldete, worüber die großen Theologen disputiert hatten. Dieser Spion tarnte sich als Händler von Hühnern. Leider war für eben dieses Jahr kein Preis für Hühner zugänglich, wie überhaupt Preise aus dem 16. Jahrhundert nur in Ausnahmefällen erhalten geblieben sind. So mussten wir uns behelfen mit einer Angabe für Wildtauben aus dem Jahr 1562, die damals 4 Schillinge kosteten. Allerdings ist für dieses Jahrzehnt ein wesentlicher Anstieg des Getreidepreises zu vermelden. Während das Mütt Kernen im Jahrzehnt 1520-1530 59 Schillinge, 10 Pfennige kostete, war es 1560 auf etwa das Doppelte gestiegen. Aus diesem Grund haben wir den Preis der Wildtauben in unserer Szene etwa halbiert. Der dafür angesetzte Batzen, umgerechnet 2 1/2 Schillinge ist also ziemlich hypothetisch.

Für die Angabe, wie viele Arme man mit 14.000 Gulden hätte satt bekommen können, gehen wir von dem relativ hohen Betrag von 2 Schillingen für drei Mahlzeiten am Tag aus. Tatsächlich hätten sich die Armen wohl auch mit nur einer Mahlzeit begnügt.

Nur wenig später erfanden Zürcher eine Technologie, die bei der Münzprägung ganz neue Möglichkeiten eröffnen sollte: die Walzprägemaschine. Hören Sie mehr davon in unserer nächsten Folge „Eine Zürcher Technologie erobert die Welt“.

Alle anderen Folgen der Serie finden Sie hier.

Die Texte und Zeichnungen entstammen der Broschüre zur gleichnamigen Ausstellung im MoneyMuseum Zürich. Vertonte Auszüge sind als Video hier erhältlich.